Wie mit falschen BU-Definitionen der Branche geschadet wird
Artikel im Versicherungsjournal vom 29.7.2016
Im Artikel der Online-Zeitschrift Versicherungsjournal vom 29.7.2016 beschreibt Herr Gerd Kemnitz (Versicherungsmakler), wie mit falschen BU-Definitionen der Branche geschadet wird. Es ist sehr gut wenn Verbraucher, Makler bzw. Versicherungsvermittler auf unklare oder missverständliche Informationen hinweisen und somit auch öffentlich ausgetragen werden. Nutzen bringt es jedoch nur einem was, wenn diese soweit wirklich vertrags- bzw. leistungsrelevant sind und dem Verbraucher oder Vermittler in seiner Tätigkeit hilft.
Hierbei geht es um folgende Beschreibung bzw. Erklärung der ERGO-Versicherung:
Und was versteht man unter „abstrakter Verweisung“, was unter „konkreter Verweisung“? |
In Abhängigkeit von der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit bei Versicherungsbeginn wird zwischen einer „abstrakten“ und einer „konkreten“ Verweisung unterschieden. ERGO zum Beispiel verzichtet für Studenten, Hausfrauen, Arbeitnehmer sowie Selbstständige auf die „abstrakte Verweisung“. Stattdessen gilt hier eine „konkrete Verweisung“. Das heißt: Betroffene erhalten eine Rentenzahlung, wenn sie ihren bisherigen Beruf für voraussichtlich mindestens sechs Monate nur noch weniger als 50 Prozent ausüben können. So muss beispielsweise ein in einer Klinik angestellter operierender Orthopäde nach einem schweren Bandscheibenvorfall nicht als Pförtner arbeiten. Anders sieht es bei der abstrakten Verweisung aus: Betroffene erhalten nur dann eine Berufsunfähigkeitsrente, wenn sie weder den ursprünglichen noch einen anderen Beruf, der ihren Fähigkeiten entspricht und ähnlich bezahlt ist, zu mehr als 50 Prozent ausüben können. Meist gilt dies für Schüler und Auszubildende, da diese noch sehr flexibel sind in ihrer beruflichen Ausrichtung. |
Die „abstrakte“ oder „konkrete Verweisung“ verständlich zu machen ist für Verbraucher und Fachleute nicht immer leicht. Es ist davon auszugehen, dass wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Vermittler dies selbst auch wirklich erklären können – leider. In Gesprächen oder Seminaren die ich führe, wird dies immer wieder belegt. Dennoch ist positiv zu erwähnen, dass die ERGO es versucht, aber vielleicht ein wenig unglücklich getroffen.
Diese Erklärung im Internet ist jedoch nicht vertragsrelevant, sondern die Bedingungen sind es. Herr Kemnitz überschreibt seinem Artikel mit: „Wie mit falschen BU-Definitionen der Branche geschadet wird“. Mit der Überschrift wird suggeriert, dass die ERGO mit einer falschen Definition arbeitet. Das ist falsch. Die Definitionen ergeben sich aus dem VVG und den vertragsrelevanten Klauseln und in keiner Weise aus einer Erklärung.
Die Verschärfung durch den Leitzsatz (Überschrift) "dass man die Branche damit schadet", könnten Leser in die Irre führen. Denn es wird nicht darauf hingewiesen, dass in den Bedingungen inhaltlich andere Regeln gelten. Diese Information fehlt in dem Artikel, wenn es um den Wortlaut "Definition" geht.
Die ERGO hat in ihrer Erklärung zwar einen Fehler enthalten und hat die Wortwahl nicht so gut getroffen, dennoch ist es wohl kaum denkbar, dass die Branche dadurch geschadet wird. Man sollte sich fragen: Wie viele Personen lesen wirklich diese Online-Erläuterung und wie viele sind davon Vermittler, Verbraucher und wie viele davon erkennen eine falsche Erläuterung? Wäre diese Erklärung vertragsrelevant, dann wäre dies jedoch ein sehr wichtiger bzw. extrem wichtiger Hinweis.
Es stellt sich also die Frage, ob es sinnvoll ist, sich über solche Erklärungen zu stürzen, da würde man bestimmt noch vieles im Internet finden. Man sollte aber erwarten können, wie Herr Kemnitz es erwähnt, dass die Informationen eines Versicherers dann auch richtig sein sollten. So argumentiert er auch völlig zu Recht, dass in der Regel immer der zuletzt ausgeübte Beruf maßgebend ist und nicht die Tätigkeit zu Versicherungsbeginn.
Sind jedoch alle Erklärungen des Autors korrekt oder könnten sogar diese nicht in gleicher Art und Weise der Branche schaden? Dazu folgende Erklärungen:
Pkt. 1: Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit
Nicht ganz richtig ist die Behauptung von Herr Kemnitz, dass „laut Versicherungsvertrags-Gesetz immer der zuletzt ausgeübte Beruf versichert ist“. Herr Kemnitz generalisiert in seiner Argumentation das, was ebenfalls zur Verwirrung führen könnte oder es auch tut.
Herr Kemnitz schreibt: Notwendige Korrektur
Diese Erklärung ist so falsch und verwirrend, dass man dies auch öffentlich korrigieren muss – denn:
- Weder die abstrakte noch die konkrete Verweisung sind von der bei Versicherungsbeginn ausgeübten Tätigkeit abhängig. Laut Versicherungsvertrags-Gesetz ist immer der zuletzt ausgeübte Beruf versichert, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war. Deshalb ist auch dieser zuletzt ausgeübte Beruf Basis für einen möglichen Verweisungsberuf.
Richtig ist, dass in § 172 Abs.2 VVG zwar die Definition der Berufsunfähig wie folgt beschreibt:
„wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann.“ |
Aber dazu mehr in den Folgenden Punkten.
Von „immer“ steht nichts im VVG, sondern „sein“ zuletzt ausgeübter Beruf, wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war. Die Erklärung durch Herrn Kemnitz könnte somit zweideutig verstanden werden. Durch die Verschärfung durch „immer“ könnte der unkundige Leser vermuten, dass es immer seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit war und nicht die Tätigkeit, als die gesundheitlichen Einschränkungen begannen bzw. die Ursache einer BU sein könnte. Dazu mehr im nächsten Punkt. Aber selbst bei Auszubildenden stellt sich die Frage wie es in den Bedingungen geschrieben wird. Dies kann je nach Versicherer die Ausbildungsunfähigkeit (zuletzt ausgeübte Tätigkeit) sein oder auch der Zielberuf (künftige Beruf). Also auch hier gibt es Unterschiede, von „immer“ kann also nicht die Rede sein.
Pkt. 2: Zuletzt ausgeübte Tätigkeit und die abstrakte Verweisbarkeit
Viele Bedingungen (besonders ältere) sehen auch eine Verweisungsmöglichkeit auf einen davor ausgeübten Beruf bzw. Tätigkeit vor, z. B. bei einem Berufswechsel innerhalb der letzten 24 Monate, oder sogar zeitlich unbegrenzt, wenn der Berufswechsel leidensbedingt erfolgte. Somit ist nicht immer der zuletzt ausgeübte Beruf maßgebend und weicht somit vom VVG ab.
Über diese Inhalte kann man sich gerne unterhalten oder öffentlich diskutieren, denn da gibt es immer was zu sagen, wie auch zu anderen Tarifen (also nicht nur bei der ERGO). Wie oben beschrieben, muss zudem immer die Tätigkeit bei der Beurteilung einer Berufsunfähigkeit berücksichtigt werden, die zum Zeitpunkt des erstmaligen Eintritts einer Berufsunfähigkeit ausgeübt wurde. Die Erklärung seitens des Herr Kemnitz lässt diesen Schluss meines Erachtens nicht zu und schafft eher Verwirrung als Aufklärung. Eine Generalisierung ist in diesem Fall fehl am Platz.
Beispiel:
Die versicherte Person ist Laborantin. Aufgrund zunehmend schwerer Erkrankungen kann sie diese Tätigkeit nicht mehr ausüben (langes stehen, schweres Tragen, etc.). Die versicherte Person wird innerhalb des Betriebes umorganisiert und erhält einen neuen Arbeitsplatz, der wesentlich schonender ist. Ein Jahr später hat sich die Krankheit soweit verschlimmert, dass auch diese Tätigkeit nicht mehr vollumfänglich ausgeführt werden kann. Die versicherte Person meldet nun BU an. In diesem Fall kann bereits schon eine Berufsunfähigkeit als Laborantin vorliegen, also somit wäre es nicht der zuletzt ausgeübte Beruf bzw. Tätigkeit, sondern der davor Ausgeübte. Unter Umständen liegt sogar in solch einem Fall eine Überobligation vor, wenn die erste Tätigkeit sogar unter Schmerzen und regelmäßiger Behandlung nur möglich war und nachweisbar zu über 50% bereits eine BU vorlag (wenn keine Staffelregelung vereinbart wurde). Dieses Beispiel ist recht abstrakt, soll aber aufzeigen, dass eine Pauschalisierung bzw. Generalisierung zu falschen vereinfachten Glaubensätze führen kann. Unabhängig davon, ist dies ein aktuell realer Fall in unserer Kanzlei.
Dieses Thema könnte man noch weiter ausbauen, besonders in älteren Tarifen finden sich auch Umorganisationsklauseln für Angestellte wieder, trotz Verzicht auf die „abstrakte Verweisung“. Also selbst wenn ein Versicherer laut Prospekt auf eine „abstrakte Verweisung“ verzichtet, gibt es genügend Möglichkeiten in den Bedingungen, wo eine abstrakte Verweisung denkbar ist. Zudem muss berücksichtigt werden, dass für die Alttarife vor 2008 der § 172 VVG insofern keine Anwendung findet, sondern man sich nach den Inhalt der Bedingungen nach meinem Kenntnisstand her richtet. Auch diese Erläuterung fehlt in der Erklärung seitens Herrn Kemnitz.
Also, eine Pauschalisierung oder Generalisierung, dass „immer“ die zuletzt ausgeübte Tätigkeit oder das VVG (im Zusammenhang mit der Definition für Verträge vor 2008) maßgebend ist, kann also ebenfalls zur Verwirrung beitragen. Auch wenn die ERGO dies recht unglücklich beschrieben hat, so sind die Ausführungen im Artikel auch nicht richtungsweisend, zu mindestens nicht über ein Fachjournal was wohl überwiegend von Fachleuten und nicht von Verbrauchern gelesen wird.
Pkt. 3: Lebensstellung (soziale Wertschätzung und Einkommen)
Herr Kemnitz schreibt bzw. erklärt zudem, dass eine abstrakte Verweisung nämlich nur dann möglich ist, wenn die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung (soziale Wertschätzung und Einkommen) der versicherten Person entspricht, sofern der Begriff der Lebensstellung in den Versicherungs-Bedingungen exakt und verbraucherfreundlich definiert wird.
Herr Kemnitz schreibt: Notwendige Korrektur
Diese Erklärung ist so falsch und verwirrend, dass man dies auch öffentlich korrigieren muss – denn:
- Ganz gleich ob ein Versicherer bei seiner Berufsunfähigkeits-Versicherung auf die abstrakte Verweisung verzichtet oder nicht: Ein in einer Klinik angestellter operierender Orthopäde wird nach einem schweren Bandscheibenvorfall niemals als Pförtner arbeiten müssen. Selbst eine abstrakte Verweisung ist nämlich nur möglich, wenn die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung (soziale Wertschätzung und Einkommen) der versicherten Person entspricht. Sollte die Vorsorgeexpertin, die hier für die Ergo spricht, diesen Unterschied zwischen einer Berufsunfähigkeits-Versicherung mit abstraktem Verweisungsrecht und einer Erwerbsunfähigkeits-Versicherung wirklich nicht kennen?
Auch hier wird eine Generalisierung vorgenommen, in dem festgeschrieben wird, dass eine abstrakte Verweisung nur dann möglich ist, wenn die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung (soziale Wertschätzung und Einkommen) entspricht. Das ist so nicht richtig. Die Verweisung in einen sozial schwächeren Beruf mit der Erzielung eines höheren Einkommens ist nämlich möglich. Das „soziale Ansehen und das Einkommen“ wird als untrennbar bezeichnet und somit ist die Lebensstellung auch in einem für den Versicherten auf seiner Sicht schlechteres berufliches und damit verbundene soziale Ansehen zumutbar. Die Lebensstellung bleibt also gewahrt, wenn grundsächlich mit dem höher angesehenen Beruf der Versicherte kein auskömmliches Einkommen zu erzielen vermag, wohl aber mit dem verwiesenen sozial schwächer angesehenen Beruf möglich ist. Wenn dies nachweisbar ist, so ist der Versicherer in solch einem Fall leistungsfrei.
Hier wurde in der Vergangenheit oft falsch gelehrt und dieser Zusammenhang ist in den Köpfen noch verankert. Hierzu gibt es jedoch richtungsweisende Rechtsprechungen, die entsprechende Klärungen geschaffen haben, die es zu berücksichtigen gilt.
Zudem wirft nun der Autor auch den Unterschied zwischen einer Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsversicherung ein, ob die Vorsorgeexpertin den Unterschied nicht kenne. Hier muss man die Frage an den Autor zurück geben. Was hat der Verzicht mit oder ohne auf die "abstrakte Verweisung" zwischen den beiden Grund-Definitionen zu tun? Diese zwei Absicherungsmöglichkeiten unterliegen einer völlig anderen Prüfung und Voraussetzung! Eine konkrete Erklärung fehlt hier, was der Autor damit meint oder bezwecken will.
Pkt. 4: Unterschied zwischen einer konkreten und abstrakten Verweisung
Im Artikel wird zudem erwähnt, dass der Unterschied zwischen einer konkreten und abstrakten Verweisung nicht zu erkennen ist. Was ist daran nicht richtig?
Herr Kemnitz schreibt: Notwendige Korrektur
Diese Erklärung ist so falsch und verwirrend, dass man dies auch öffentlich korrigieren muss – denn:
- Konnten Sie aus dem oben genannten Zitat den Unterschied zwischen einer konkreten und abstrakten Verweisung erkennen? – Ich nicht! Aber der Verbraucher hat den Begriff „konkrete Verweisung“ nun mehrmals gelesen und wird glauben, dass bei der Ergo nach dieser Darstellung alles bestens sei. Und wenn ein Makler ehrlich aufklärt, dass es keinen BU-Tarif gibt, der sowohl in der Erst- als auch in der Nachprüfung auf eine konkrete Verweisung verzichtet – dann hat er schon verloren.
Meines Erachtens ist es klar formuliert, dass der Versicherer auf die „abstrakte Verweisung“ verzichtet und somit ein „konkretes Verweisungsrecht“ besteht, somit ist folglich der Unterschied erklärt. Vielleicht hätte man an dem Beispiel des Orthopäden dies erweitern sollen, wie es wäre wenn der Versicherer auch auf die konkrete Verweisung verzichten würde. Ungeachtet davon, ist meines Erachtens der Verzicht auf die „konkrete Verweisung“ eher bedenklich zu sehen (was es ja von sehr wenigen Versicherer für bestimmte Zielgruppen gibt). Das wäre aber ein anderes Thema.
Ergänzend wäre jedoch zu erwähnen gewesen, ob der Versicherer z. B. bei den Auszubildenden die Ausbildungsunfähigkeit, bei Studenten die Studierunfähigkeit oder bei der Leistungsprüfung auf den Zielberuf abstellt. Das wäre eine wichtige Erläuterung, die meines Erachtens eine Transparenz in den Erklärungen erhöhen würde, denn bei beiden Prüfungsmöglichkeiten ist auch ein Verzicht auf die abstrakte Verweisung möglich, jedoch die herangezogene Tätigkeit ist unterschiedlich.
Fazit
Der Versicherer hat den Begriff „konkrete Verweisung“ im Zusammenhang ca. dreimal erwähnt (inkl. Überschrift), eine Verwirrung kann ich deswegen nicht erkennen. Je nach Zielgruppe gibt es jedoch entgegen der Behauptung des Autors „das es keinen Tarif gäbe“, eben doch Tarife, die in der Erst- als auch in der Nachprüfung auf die „konkrete Verweisung“ verzichten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies wirklich sinnvoll ist, da es sich ja um eine Existenzsicherung handelt. Ich halte jedenfalls nichts davon. Die Erklärungen zu der letzten ausgeübten Tätigkeit und der Lebensstellung waren nicht vollständig. Der Hinweise zwischen einer BU- und EU-Versicherung ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Das einzige was übrig bleibt, ist der Lapsus der ERGO, dass hier die Abhängigkeit der Tätigkeit zum Zeitpunkt des Versicherungsbeginns beschrieben wurde, was natürlich falsch ist und richtig erkannt wurde. Der Artikel selbst wirft meines Erachtens somit mehr Fragen auf, als Klärungen gegenüber der Erläuterung der ERGO-Versicherung im Internet.
Quelle/Link zum Artikel im Versicherungsjournal: http://www.versicherungsjournal.de/versicherungen-und-finanzen/wie-mit-falschen-bu-definitionen-der-branche-geschadet-wird-126435.php