Wann kann der Versicherer eine Unfallversicherung kündigen?
Nicht nur als Kunde hat man das Recht ohne Angabe eines Grundes die Unfallversicherung zu kündigen, auch der Versicherer. Besonders nachteilig ist eine Kündigung aber dann, wenn der Versicherte Leistungen aus seiner Unfallversicherung erhält oder erhalten hat und ein Sonderkündigungsrecht seitens des Versicherers besteht, oder die versicherte Personen einen nicht versicherbaren Zustand erreicht hat. Eine neue Absicherung für den gekündigten Kunden ist dann nur noch schwer oder garnicht mehr möglich. Es stellt sich also die Frage, ab wann ist der Versicherer berechtigt die Unfallversicherung zu kündigen und ist die Kündigung überhaupt rechtsgültig (z.B. durch Fristwahrung)?
Kündigung bei nicht versicherbare Personen, böse Überraschung im Versicherungsfall
Der überwiegende Teil der Tarifangebote sehen auch Kündigungsmöglichkeiten ab einen bestimmten Zustand der versicherten Person vor, z.B. wenn eine Geisteskrankheit oder Pflegebedürftigkeit vorliegt. Auch hier gibt es Unterschiede im Markt, so sehen einige Tarife bereits ab dem ersten Pflegegrad (Pflegestufe) eine Kündigung vor, der überwiegende Teil erst ab einer schweren oder Schwerst-Pflegebedürftigkeit. Selbst wenn die versicherte Person die Beiträge weiter zahlt, besteht kein Versicherungsschutz. Tritt ein Versicherungsfall ein, dann erhält der Versicherte i.d.R. nur die gezahlten Prämien ab dem Zeitpunkt des nicht versichbaren Zustandes zurück. Aber es gibt auch Teil-Kündigungen von versicherten Leistungen bei Erreichen eines bestimmten Alters. Gerade ältere Personen haben i.d.R. eine schleichende Entmachtung ihres Versicherungsschutzes, gerade da wo es vielleicht darauf ankommt. Es gibt aber auch Ausnahmen, die keine Ausschlüsse vorsehen. Bei einem Berufswechsel besteht i.d.R. auch eine unverzügliche Anzeigepflicht über die neue Tätigkeit. Auch hier kann es zur Kündigung des Versicherungsvertrages führen, wenn der Versicherer "nicht versicherbare Berufe" in seiner Tarifgestaltung berücksichtigt.
Allgemeine und Sonder-Kündigungsmöglichkeiten
Der der Versicherer hat i.d.R. das ordentliche Kündigungsrecht in seinen Bedingungen enthalten, das bedeutet dass eine Kündigung mindestens drei Monate vor der Hauptfälligkeit ohne Angabe eines Grundes möglich ist. Zum Vorteil des Kunden gibt es aber auch abweichende Regeln, die z.B. ein monatliches Kündigungsrecht nur durch den Versicherten vorsehen (für den Versicherer bleiben verpflichtend die drei Monate bestehen).
Der Versicherer hat aber auch das Recht, während oder nach einem Leistungsfall das Versicherungsverhältnis durch das "Sonderkündigungsrecht" den Versicherungsvertrag zu kündigen. Auch hier kommt es auf den Versicherer an. Das könnte sehr nachteilig sein, wenn mehrere versicherte Personen innerhalb eines Vertrages versichert sind. Zwar wird der Versicherer wohl eher die einzelne versicherte Person kündigen, aber es besteht das Recht, den ganzen Vertrag zu kündigen, denn der § 92 VVG sieht die Kündigung des Versicherungsverhältnis vor, auch wenn ein "Versicherungsverhältnis" für den Versicherungsnehmer und die versicherten Personen einschließt. Grundsätzlich gilt, wenn mit einem Vertrag ein Versicherungsverhältnis vereinbart wurde, ist dessen Bezeichnung immer ein Versicherungsvertrag, selbst dann, wenn noch andere Regelungen bestehen (z.B. unterschiedliche versicherte Personen). Die Grundlage jeden Versicherungsverhältnisses ist also der Versicherungsvertrag.
§ 92 VVG Kündigung nach Versicherungsfall
(1) Nach dem Eintritt des Versicherungsfalles kann jede Vertragspartei das Versicherungsverhältnis kündigen.
2) Die Kündigung ist nur bis zum Ablauf eines Monats seit dem Abschluss der Verhandlungen über die Entschädigung zulässig. Der Versicherer hat eine Kündigungsfrist von einem Monat einzuhalten. Der Versicherungsnehmer kann nicht für einen späteren Zeitpunkt als den Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen.
Die Versicherungsbedingungen sehen i.d.R. folgende Klausel bei einer ordentlichen Kündigung vor
„… Der Vertrag ist für die im Versicherungsschein angegebene Zeit abgeschlossen. Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils ein Jahr, wenn nicht Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres eine Kündigung in Textform zugegangen ist….“
Kündigung des Versicherungsvertrages bei Klage
Sehr nachteilig ist die Kündigungsmöglichkeit während oder nach dem Leistungsfall durch den Versicherer. Besonders dann, wenn bereits die Klauseln im Bedingungswerk auch ein Kündigungsrecht seitens des Versicherers vorsehen, wenn durch den Versicherten gegenüber dem Versicherer eine Klage eingereicht wird. Gerade der Versicherte sollte sein Recht haben, ohne mögliche Sanktionen befürchten zu müssen, einen Rechtstreit führen zu können, um z.B. die Höhe oder gesamte Leistungsanerkennung bestimmen und rechtlich klären zu lassen. Nicht selten werden Leistungsentscheidungen falsch getroffen, was eine Vielzahl von Urteilen belegt. Das kann z.B. dann sein, wenn man mit einer gutachterlichen Stellungnahme eines Arztes des Versicherers nicht einverstanden ist, oder die Leistung vielleicht zu gering anerkannt wurde. Auf der anderen Seite wird der Versicherte auch indirekt beeinflusst, auf sein Recht auf Klage möglicherweise zu verzichten, wegen des eingehenden Risikos einer Kündigungserklärung seitens des Versicherers. Es stellt sich also auch die Frage, ob diese erweiterte Kündigungsmöglichkeit wirklich sinnvoll ist.
Die Versicherungsbedingungen sehen i.d.R. folgende Kündigungs-Klausel bei einem Leistungsfall vor
"…Den Vertrag können Sie oder wir durch Kündigung beenden, wenn wir eine Leistung erbracht oder Sie gegen uns Klage auf Leistung erhoben haben. Die Kündigung muss Ihnen oder uns spätestens einen Monat nach Leistung oder - im Falle eines Rechtsstreits - nach Klagerücknahme, Anerkenntnis, Vergleich oder Rechtskraft des Urteils zugegangen sein…“
Wann ist jedoch eine Kündigung möglich während oder nach einem Leistungsfall? Welcher Termin ist maßgeblich für eine Kündigung?
Die o.g. Klausel sowie der § 92 VVG liefert bereits eine Antwort, denn es heißt: „wenn wir eine Leistung erbracht […] haben.“. So bestätigt auch u.a. der amtliche Leitsatz zur (AUB 2000 Nr. 10.3): "Die Regelung in Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen, wonach der Vertrag durch den Versicherungsnehmer oder den Versicherer durch Kündigung beendet werden kann, wenn der Versicherer eine Leistung erbracht hat, ist dahin auszulegen, dass das Kündigungsrecht mit der ersten Leistung beginnt." Der BGH hat mit dem Urteil vom 18.10.2017 - IV ZR 188/16 eine entsprechende Entscheidung getroffen.
Der Sachverhalt
Am 23.04.2008 erlitt die Ehefrau des Klägers (Kläger ist der Ehemann) bei einem Sturz eine Schenkelhalsfraktur. Der Versicherer zahlte das versicherte Krankenhaustagegeld, sowie einen Invaliditätsvorschuss und im Rahmen einer Abfindungserklärung noch einen Endbetrag. Daraufhin hat der Versicherer am 13.08.2009 den Vertrag gekündigt.
Kurz nach der Kündigungserklärung verunfallte die Frau im Oktober 2009, sowie im März 2010 erneut. Der Versicherer lehnte aber die Leistungsansprüche wegen der Kündigung ab, so dass der Ehemann (Kläger) den Versicherer auf Zahlung des versicherten Krankenhaustagegeld und einer Invaliditätsentschädigung verklagte. Da der Versicherer sich verweigerte die Zahlung anzuerkennen, wurde der Rechtstreit letztlich bis zum BGH geführt.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH hat entschieden, die Leistungen aus dem Unfall im Oktober 2009 der Versicherer zu zahlen hat, da der Vertrag zu diesem Zeitpunkt noch bestand, da die Kündigung vom 13.08.2009 unwirksam war. Der Versicherer hat die Kündigungsfrist von einem Monat nicht berücksichtigt, die mit Zahlung des Krankenhaustagegeldes am 09.07.2009 begonnen hatte. Das Kündigungsrecht entstehe laut den AUB 2000, wenn der Versicherer eine von mehreren unfallbedingt geschuldeten Leistungen oder eine dem Grund und der Höhe nach festgestellte Teilleistung erbracht habe. Nach Auffassung des BGH kann der durchschnittliche Versicherungsnehmers der Klausel nicht entnehmen, dass dem Versicherer nach jeder weiteren Leistung ein neues, selbstständiges Kündigungsrecht zustehen soll. Jedenfalls greife zugunsten des Versicherungsnehmers die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB ein.
§ 305c BGB Überraschende und mehrdeutige Klauseln
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.
(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.



