Was bedeutet die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung, Kündigung, Rücktritt und Anfechtung des Vertrages?

Wer hat das noch nicht gehört:
Der Leistungsfall tritt ein und die versicherte Person begehrt den vereinbarten Versicherungsschutz, für die er einige Jahre bereits eingezahlt hat. Aber der Versicherer erklärt aufgrund einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung den Rücktritt oder fechtet den Vertrag an. Die versicherte Person erhält in solch einem Fall keine Leistung und auch seine Prämien werden nicht erstattet, unabhängig davon ob dies mit der ursächlichen „Krankheit“ zusammen hängt oder nicht. Lange Streitigkeiten vor Gericht sind dann meistens vorprogrammiert. Besonders in der Berufsunfähigkeits-, privaten Kranken-, Unfall- und Pflegeversicherung ist dies der Fall. Aber bis wann kann ein Versicherer vom Vertrag zurücktreten oder den Vertrag anfechten?


1.  Grundalge: vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung

Die versicherte Person muss zum Zeitpunkt der Antragstellung (also bei Vertragsabschluss) alle ihm bekannten Gefahr-Umstände dem Versicherer mitteilen, die für die Gefahr-Übernahme (Versicherungsrisiko) für den Versicherer wichtig und von Bedeutung sein könnten (§ 19 Abs.1 VVG). Dabei muss aber nur das beantwortet werden, wonach auch im Antrag gefragt wird. Sind die Fragen unklar, ist es besser den Versicherer zu fragen, was mit den Fragen gemeint ist. Wird im Antrag was vergessen oder eine unrichtige Angabe gemacht, kann der Versicherer eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht unterstellen.

 

Eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung (Anzeigeobliegenheit) kann aber nur bestehen, wenn dem Antragsteller bzw. Versicherungsnehmer die gefahrerheblichen Umstände auch bewusst waren. Es sind also dem Versicherer z.B. nur solche Krankheiten mitzuteilen, die dem Versicherungsnehmer tatsächlich bekannt, sowie von einem gewissen Gewicht sind und nach denen auch gefragt wurde. Vorteilhaft ist zudem, dass die Kenntnis über die gefahrerheblichen Umstände zum Vertragsschluss vom Versicherer bewiesen werden müssen.

 

 

Der Antragsteller ist verpflichtet, bis zur Policierung des Vertrages – also innerhalb der Bindungsfrist – ungünstig veränderte Gefahrumstände dem Versicherer mitzuteilen, z.B. neue Tätigkeit, neues Hobby oder auch Gesundheitszustände.

 

 

2.  Wann kann der Versicherer den Vertrag kündigen?

Eine Kündigung (§ 24 VVG) des Vertrages durch den Versicherer ist möglich, wenn die versicherte Person gefahrerhebliche Umstände nicht mitgeteilt hat. Im Unterschied zum Rücktritt bezieht sich es bei der Kündigung nicht unbedingt auf eine Vorerkrankung, sondern eventuell auf eine sogenannte Gefahrerhöhung, z.B. in Bezug auf den Beruf. Die versicherte Person ist z.B. nicht Programmierer, sondern Gerüstbauer, oder hat als Hobby Tiefseetauchen oder eine Kampfsportart. Der Versicherer kann den Vertrag nur innerhalb eines Monats nach Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände kündigen (§ 24 Abs. 3 VVG). Bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung sind z.B. jedoch spätere hinzukommende Gefahren mitversichert, es sei denn die Bedingungen sehen eine Anzeigepflicht auch während der Vertragslaufzeit vor (z.B. Wegzug ins Ausland, Rauchverhalten, etc.).

 

3.  Rücktrittsrecht: Wann kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten?

Hat die versicherte Person vorsätzlich oder grob fahrlässig (§ 19 Abs.3 VVG) wichtige Antrags-Informationen nicht angegeben oder hat unrichtige Angaben im Antrag gemacht, kann der Versicherer später vom Vertrag zurücktreten (§ 19 Abs.2 VVG). Der Versicherer muss innerhalb von einem Monat (§ 19 Abs.3 VVG), ab dem Zeitpunkt seiner Kenntnis über die unrichtigen Angaben den Rücktritt vom Vertrag erklären. Mögliche Verdachtsmomente zählen aber nicht als Kenntnis. Somit könnte aber der Versicherer eventuelle Verdachtsmomente, die er über andere Wege erhält, sich für den „Fall der Fälle“ zur weiteren Verwertung aufheben.

Was ist Grobe Fahrlässigkeit: “Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grade, außer acht lässt, wer nicht beachtet, was unter gegebenen Umständen jedem einleuchten musste.”

 

Der Versicherer hat jedoch kein Rücktrittsrecht, wenn ihm die unrichtigen Angaben bekannt waren oder die unrichtige Anzeige ohne Verschulden des Antragstellers erfolgte. Eine Leistungsablehnung oder eine Kündigung des Vertrages stellen im Übrigen keinen Rücktritt dar.

 

 

 

4.  Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

Anstelle eines Rücktritts kann der Versicherer bei einer arglistigen Täuschung (diese muss er nur annehmen) den Vertrag auch anfechten (§ 22 VVG). In diesem Fall erweitert sich zum Vorteil des Versicherers die Frist von einem Monat auf ein Jahr (§ 124 Abs.1 BGB) und ist auch beweisrechtlich etwas besser gestellt.

 

Aber zu beachten ist, dass allein unrichtige Angaben auf dem Antragsformular noch keine Täuschung und schon gar nicht eine arglistige Täuschung darstellen. Wann liegt eine Arglist/Täuschung vor: Die Unrichtigkeit der irreführenden Angaben muss dem Antragsteller bewusst sein und er musste willentlich einen Irrtum über den wahren Sachverhalt herbeiführen wollen. Außerdem ist Arglist erst gegeben, wenn die Täuschung darauf abzielte, den Versicherer zum Vertragsabschluss zu bewegen.

 

 

Hat die versicherte Person aufgrund von Nachlässigkeit, falschem Scham, Trägheit oder aus Gleichgültigkeit Falschangaben getätigt, so ist eine Arglist nicht zu unterstellen, zudem ist der Versicherer bei einer unterstellten Arglist des Versicherten dafür beweispflichtig.

 

 

 

§ 124 Abs.3 BGB: „Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

§ 21 Abs.3 VVG: "Die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 erlöschen nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss; dies gilt nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt, beläuft sich die Frist auf zehn Jahre."

 

 

 


© fairtest & Bert Heidekamp 23.06.2014

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